Polizei und Korruption in Pakistan


Hier berichtet, Dr. Yahya Hassan Bajwa aus Pakistan per Mail, Eingang: 07. 01. 08, 06:10 Uhr.
Die Veröffentlichung erfolgt in Koordination mit Stephan Marti, Herbert Odermatt, personalblog.

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„Die pakistanische Polizei, Dein Freund und Helfer“ – oder: Wie Macht und Geld Recht sprechen…

yahya hassan bajwa, Rahim Yar Khan Polizeistation, 6.1.08

Ich sitze auf einem unbequemen Stuhl auf einer der vielen Polizeistationen in Rahim Yar Khan. Es ist das Zimmer des „Munschi“ oder auch „Muharrar“ (Polizeischreibers). Zwei Personen sind gerade damit beschäftigt, die vielen Anzeigen zu ordnen. Zwei andere sitzen einfach gelangweilt da. Ich werde von einem Bekannten begleitet, der selber Polizist ist und auf diesem Polizeiposten „arbeitet“, wenn er einmal da ist. Einige Minuten später erscheint der Munschi mit einem Plastiksack in der Hand. Ich werde ihm vorgestellt. „Salaam, wo ist Tee und bringt sofort auch was zum Knabbern mit. Das ist Gastfreundschaft!“ Inzwischen hat er seinen Plastiksack deponiert und nimmt Platz. „Wissen Sie, heute ist niemand sicher. Niemand weiss, ob er nicht erschossen wird. Ich arbeite schon seit 20 Jahren im Polizeiwesen. Die Armut ist das Hauptproblem.“ Er führt fort, als ich ihn frage, welche Gründe er dafür nennen könne, dass die Armut das Hauptproblem sei. Die Armut hängt mit der Bevölkerungsexplosion zusammen. Familien mit acht Personen und nur eine Person hat Arbeit. Wenn alle arbeiten würden, dann gäbe es weniger Probleme, doch die Arbeitslosigkeit ist gross und auch der Arbeitswille fehle vielen Menschen. Es sei bequemer, zuhause zu sitzen. Grossgrundbesitzer wollen zum Beispiel auch gar nicht, dass die Armen einer geregelten Arbeit nachgehen oder sich bilden. Sie bleiben praktisch Leibeigene. Diese Kultur muss man verändern. Er meint: „Wir, von der Polizei, sind ja nicht da, um einzelnen Grossgrundbesitzern zu dienen, sondern dem ganzen Volk.“ Die Lösung wäre, dass die Regierung der Unterschicht zu Arbeit verhilft. Jobs müssen geschaffen werden. Es gibt gute Beispiele wie in Sialkot, da würden in Familienarbeit Fussbälle hergestellt. Doch hier in Rahim Yar Khan, würden die Leute einfach zuhause herumsitzen. Er erzählt von einer allein stehenden Frau mit vier Kindern, die er mit jeweils 300 Rupien pro Monat unterstützt. Sie hätte in einer Fabrik gearbeitet. Das sei sehr schwer für sie gewesen, weil dort praktisch nur Männer arbeiten. Schlussendlich habe man sie entlassen. Jetzt verdiene sie gar nichts mehr.

Die Kandidaten für das Provinz- und Nationalparlament geben bei den Wahlen Hunderttausende von Rupien aus. Auch würden sie für Stimmen je 1000 Rupien bezahlen. „Wissen Sie, Politik ist ein grosses Business“, meint er und reicht mir eine Tasse Tee. „Ich kenne Leute, die nur wenig Land hatten und heute, nachdem sie MNA sind, sind die steinreich. Eine solche Person wird nicht dem Volk dienen, sondern es aussaugen.“ Ein Beispiel aus der Baubranche zeigt das normale Vorgehen bei der Vergabe von Aufträgen: Der Bauauftrag hat ein Volumen von 10 Millionen Rupien. 10% behält der Bezirksleiter. 30% behalten die oberen Beamten, sie müssen weiteren Beamten ebenfalls einen Teil abgeben. Einen Teil fliesst in die Taschen des Bauunternehmers. Der Betrag, der für den Strassenbau verwendet wird, beträgt am Schluss vielleicht 10-20%. „Also, kein Wunder, dass man die Strasse, sobald sie fertig gebaut ist, gleich wieder reparieren muss“ meint mein Gesprächspartner.

„Weiss man, wer die Zerstörung währen den anschliessenden Unruhen nach der Ermordung von Benazir Bhutto verübt hat?“ wollte ich wissen. Die Anzeigen sind gegen Unbekannt erhoben worden. Doch die Polizei hat Videoaufnahmen, die die Täter zeigen. Die PPP-Führung stand vor den brennenden Gebäuden und hat lachend zugeschaut. Gegen diese kann die Polizei nicht vorgehen, das sind Grossgrund- und Fabrikbesitzer. Während den Unruhen habe die Polizei keinen Auftrag von Oben erhalten, um gegen die Demonstranten vorzugehen. Wenn durch die Polizei ein Demonstrant ums Leben gekommen wäre, wäre wohl die Situation völlig ausser Kontrolle geraten.

Inzwischen betritt ein hoher Polizeioffizier, ein Inspektor, das Büro. Er unterhält sich mit dem Munschi. Es geht um einen verzwickten Fall. Es gibt Augenzeugen, die die Unschuld einer Person bezeugen können. Sogar die Anzeigeerstatter geben zu, dass die Anzeige manipuliert sei. Doch die Augenzeugen wollen nicht vor Gericht erscheinen, weil sie polizeilich in einem anderen Fall gesucht werden. Ich frage, ob denn der Fall nicht abgeschrieben wird, wenn sogar die Anzeigesteller zugegeben, dass es eine falsche Anzeige sei. Ein Polizist sagt, dass man in einem solchen Fall Muhammad Ali Jinnah (der Gründer Pakistans, der auf der 1000er Note abgebildet ist) einladen muss. Gelächter. Der Polizeibericht muss fair sein, meint der Inspektor. Solange es keine Beweise gibt, darf man eine Person auch nicht festnehmen oder gar ins Gefängnis überführen. In einem solchen Fall kann nur Geld etwas bewirken. Ich frage, ob das bedeutet, dass eine arme Person nie Recht bekommt. „Wissen Sie“, meint er, „der arme Mann bekommt kein Recht, weil er gar keine Rechte hat.“ Zwischendurch sprechen der Inspektor und Munschi miteinander. Plötzlich sagt der Inspektor, dass er mit dem Munschi draussen sprechen wolle. Der winkt ab und sagt zu mir: „Wir müssen Korruption bekämpfen! Doch, wenn Polizisten nicht genug verdienen, dann ist das praktisch eine Einladung zur Korruption. Wir versuchen trotzdem unser Bestes.“

Ich wechsle das Thema und will wissen, wie die Polizei gegen den Terrorismus vorgeht. Der Munschi erwidert: „Benazir soll nicht nach Islamabad, weil sich dort Terroristen befänden. Ja, tun die Musharraf nichts?“ Er führt fort und meint, dass die Regierung alle Informationen habe. Es gibt keine Terroristen, ohne dass es die Regierung weiss. Auch hier in Rahim Yar Khan gibt es Koranschulen, die würden aber keine Terroristen hervorbringen und hier gab es auch noch nie einen Selbstmordanschlag. Diese Terroristen werden „geboren“ und die Regierung weiss, wo. „Wenn wir diese Informationen haben, weshalb weiss es die Regierung nicht, die Geheimdienste“, wollte der Munschi wissen. „Osama sitzt doch im Knast und die USA benutzt ihn. Der hat doch nichts getan. Er wird benutzt. Terrorismus ist ein grosses Theater der Geheimdienste. Die ganze Geschichte mit Baitullah Masud ist doch ein Witz. Doch, wer soll schon dagegen protestieren, niemand will Schläge einstecken!“ Der Munschi fordert eine Rechtsreform. In Pakistan würde man nach dem Britischen Recht leben, das vor 200 Jahren eingeführt wurde. Ein Rechtschaffener Mensch, unser Munschi. „Wollen Sie noch den Posten anschauen? Ja! Also, bitte zeigt ihm alles. Auch das Schlachthaus… äh, nein, wir sind keine Metzger. Auch den Aufenthaltsraum der Gefangenen.“ Meinem Munschi war der Ausrutscher sichtlich peinlich…

Zum Schluss zwei Anmerkungen. Man erinnere sich, als der Munschi das Zimmer betrat, hielt er einen Plastiksack in einer Hand. Darin waren die Einnahmen, die die Quartierleute bezahlt hatten. Früher, so mein Begleiter, wäre der Betrag mehrere Hunderttausend Rupien gewesen. Jetzt seien es nur noch bescheidene Beträge, da der Zuständigkeitsrayon dieser Polizeistation verkleinert worden sei. Doch der Munschi habe genug verdient, so dass er eine Fabrik für Plastiksackherstellung eröffnet habe und nun ein schönes Haus besitze. Der SHO, der wegen Depression im Moment frei hat, besitzt bereits drei Fabriken und habe pro Tag 3000 Rupien für sein Essen ausgegeben – das ist praktisch ein Monatslohn eines armen Mannes. Depressiv sei er, weil es sich nun für ihn kaum mehr lohne, auf die Polizeistation zu kommen…

Während unserem Gespräch trat ein höherer Polizeioffizier ins Büro – der Inspektor, der den Polizeivorsteher vertritt. Mein Begleiter fragte mich, ob ich verstanden hätte, was da abgelaufen sei. Der Inspektor wollte im verzwickten Fall der falschen Anzeige, dass der Munschi mit ihm privat draussen spreche, doch jener habe abgewinkt und gesagt, dass man gegen Korruption vorgehen muss. Ein anderer Polizist meinte, dass man in einem solchen Fall Muhammad Ali Jinnah einladen muss. Vor meinen Augen und mitten in unserem Gespräch wurde folgendes beschlossen, ohne dass ein Aussenstehender es verstanden hätte: In diesem verzwickten Fall, wird Schmiergeld bezahlt. 5% erhält unser Munschi (mit einer Fabrik). Je 10% der Inspektor und der SHO (Polizeivorsteher mit drei Fabriken). Weitere 10% der DSP (der Verantwortliche für den Distrikt). Die Polizei, Dein Freund und Helfer – in jeder Situation.

TransCommunication – Research and Communication – Dr yahya hassan bajwa –
POB 1351 – 5400 Baden – Switzerland – www.TransCommunication.info
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Pakistan ist eine Atommacht mit ungewissem Weg und gleichzeitig Entwicklungsland. Ein grosser Teil der Bevölkerung ist ohne Arbeit, dafür haben sie grosse Familien. Wie diese ernährt werden ist mir schleierhaft. Viele Menschen sind ungebildet, weil man sich die Schule nicht leisten kann oder weil gewisse Kreise Ungebildete wie Leibeigene behandeln – billige und willige Arbeitskräfte… Wer die Übersicht hat, bereichert sich. Korruption gehört zum Alltag wie essen und schlafen. Wie kann ein Land unter solchen Vorzeichen garantieren, dass mit den Mitteln (atomare Waffen) in ihren Händen kein Unfug betrieben wird? Vielleicht sind es die ausländischen Instruktoren, welche die Fäden in den Händen behalten. Vielleicht ist das einfach eine andere Form einer «Besetzung». Im weltweiten Interessensbereich einer Grossmacht und deren Strategien muss es mehrere Formen der Einflussnahme geben. Man gewinnt eine «Schachfigur» für sich, gibt ihr zum Schein nach aussen «Machtmittel» in die Hand, die aber lediglich in seinem Land stationiert sind… Beide Seiten profitieren. Eine ein wenig mehr. Ob der «Grosse Bruder» auch das Scharnier des Bösen im Griff hat? oder muss er sich die «Tragödie Pakistan» (Joschka Fischer) erst einmal verdauen? (odh)

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