«Liberalisieren: Kleine Schritte. Man muss den Verlierern von Reformen eine Perspektive geben.» Dies sagt Manfred Bötsch, Direktor des Bundesamtes für Landwirtschaft im Cash Artikel über «10 grosse Ideen für die Schweiz». Er muss dies sagen, sonst wird sein eigener Job ja überflüssig. Die Landwirte geniessen fast als einzige in der Schweiz einen so intensiven Artenschutz. Für die Weber und die Spinner wurde nie etwas in grossem Umfang getan. Für die Finanzbranche denkt man sich sogar Schikanen für die Kleinen aus. Und wie in der Landwirtschaft sind die Kleinen meistens besser, feiner als die Grossen.
Frankreich hat eine etwas andere Mentalität. Wer hier keine vernünftige Leistung erzielen kann, wird zum Sozialfall. Und deren gibt es hier viele. Einige, die Minderheit, will aber mehr als nur zu leben haben und sind bereit sich dafür mit Arbeit ein zu setzen. In Frankreich irgend eine Arbeit zu machen ist extrem viel einfacher, als in der Schweiz. Der Steckdoseninstallateur schliesst in Frankreich auch gleich das Wasser an – ohne Berufslehre. In der Schweiz braucht es dafür deren zwei. Dafür sind dann meist die Installationen dauerhafter und vor allem teurer ausgeführt. Besser würde ich nicht sagen. In Frankreich habe ich überall eine FI-Anlage und die ist dort angebracht, wo der Strom ins Haus kommt – auf der Toilette. Da hätten die Schweizer schon «Vögel» bekommen, aber die Kontrolle unseres Hauses nach 18 Jahren brachte es an den Tag. Fehler bei Strom (FI) ist an der Tagesordnung – die Aussensteckdosen und der Drehstrom (380 V) sind nicht angeschlossen, trotz Versicherung des Installateurs und trotz Versicherung durch die Kontrolle bei der Bauabnahme.
Also, Frankreich ist weder schlechter noch besser – Frankreich ist anders. Auch in der Landwirtschaft. Der Weinbau steckt immer noch in einer grossen Krise. Man hat viel zu viele Reben und deshalb werden grosse Flächen staatlich subventioniert gerodet, weil die Branntweinproduktion aus dem Grundstoff Wein noch teurer wäre. Und es sind ja nicht die gut unterhaltenen Rebberge, die Spitzenqualität bringen, die jetzt ausgerissen werden.
Gerodet wird nicht überall, es wird auch aufgebaut. Jahr für Jahr sind im Gebiet der Ardèche, Sèze, vor allem im Departement Gard gegen die Rhône neue Weinberge zu finden. Wieso? Ganz einfach. Man verdient an einer an die Touristen verkaufte Flasche wesentlich mehr, als wenn die über den Grosshandel in den Umlauf kommt. Hier sieht man schon die grossen Unterschiede innerhalb von Fraqnkreich. Bordeaux ist nicht gerade die Touristengegend – im Gegensatz zum Languedoc-Roussillon.
Hier unterscheiden sich die Geister in der Schweiz von den französischen nicht gross. Wo direkt verkauft werden kann, wird dies auch versucht. Die Marge ist wesentlich grösser und vor allem, man kann das ausprobieren was man verkaufen will oder zu produzieren im Stand ist. In der Anpflanzung von anderen, neuen Weinsorten ist die Schweiz viel flexibler. In Frankreich führt der Weg meist über alte Sorten zum Ziel. Eine davon ist die Viognier. Laut der meisten Quellen überlebte die Vigonier nur in der Gegend rund um Condrieu – die Nachbarortschaft ist Ampuis wo ich mit meinem Kollegen im April für EUR 8 das Menu gegessen haben und für EUR 40 eine Flasche Wein getrunken haben. Essen kann man überall – aber wirklich gut trinken nicht. Übrigens, die Flasche kostet im Laden praktisch gleich viel. Zurück zum Viognier. Ich werde hier unten im Süden einmal der Geschichte nachgehen. Für mich stimmt hier etwas nicht. Wie kommt eine ganz arme Gegend zu Stecklingen einer Rebsorte die auf nur 14 ha auch bei Château Grillet angepflanzt werden – der kleinsten Appellation Frankreich und der teuersten. Sorry, hier ist garantiert irgendwo ein Filmriss, denn die Rebbauern, dort wo sich die Rhone grobgesagt nach Süden zuwendet, machen garantiert keine solchen Geschenke an die billige Konkurrenz im Süden. So liberal kann ich mir Frankreich gar nicht vorstellen und das im Hinblick, dass erst einige wenige Jahrzehnte seit der Wiederentdeckung vergangen sind und in Frankreich dauert es auf diesem Gebiet bei Änderungen noch länger als in der Schweiz. Vermutlich ist der Grund auch nicht darin zu suchen, dass auch weltbekannte Namen diese Rebsorte anpflanzen – Baron Philippe de Rothschild kostet rund 12 – 13 Franken (5 GBP)
Hier im Süden gibt es Viognier nicht gerade in Hülle und Fülle, aber es sind doch einige herrliche Weine zu finden. Die besten die ich kenne sind zum Glück nicht auf dieser Liste. Es ist ähnlich wie mit Aktien. Einige sind nicht auf dem grossen Parkett zu haben und im Gegensatz zur Börse ist Insiderwissen nicht verboten. Der Grund ist ganz einfach: eine Aktie ist ein Investitionsgut und eine Flasche Wein ein Konsumgut das man immer wieder kaufen will und daher froh ist wenn die Preise möglichst nicht ansteigen und der Geheimtipp nicht allen bekannt ist.
Beim Viognier gibt es nur etwas zu beachten: den Geschmack. Bei dieser Rebsorte streiten sich heute die Geister ähnlich wie beim beim Chardonney. Vom feinen fruchtigen Wein geht es bis zum mastigen, grässlichen Barriquewein dessen Reben auf einem total ungeeigneten Terroir angebaut sind. Da gilt es zu degustieren und das zu kaufen wonach der eigene Geschmack verlangt. Drei von vier Vigonier sind meiner Meinung nach nur «In-Weine» und solche gibt es von Spanien bis zur Camarque und anschliessend der ganzen Rhône entlang bis ins Wallis hinauf zu meiden – oder man hat eben den andern Geschmack.
Ein einziges Weingut kenne ich, bei dem sich alle Leute einig sind, dass dies ein Besuch wert ist – die Chartreuse de Valbonne. Das Kloster hat den grössten Kreuzgang von Europa und einige Weine sind meiner Ansicht nach noch besser gelungen als der Viognier. Die Geschmäcker sind verschieden und sie ändern auch bei einem Wechsel des Kellermeisters. Eine Flasche à 5 dl – beileibe keine Offenqualität – habe ich noch im Keller zuhause. Hoffentlich kommen ihnen «alte Rezepturen» wieder in den Sinn und vielleicht überlegen sich auch andere diese Worte – es scheint, dass ich nicht der Einzige mit einer zwei geteilten Meinung zum Viognier bin.
… das Original – etwas grösser – ist bei Visipix zu finden … und mit dem Besuch von Château Musar dürfte wohl nichts geworden sein …