Tatsächlich könnten die mittwöchlichen Kursverluste am Aktienmarkt erst der Anfang einer Ölpreis-bedingten Korrektur sein. Manche Akteure fühlen sich an den Sommer vergangenen Jahres erinnert. Damals bescherte das Hochschnellen der Brent-Notierungen von 33 auf 45 Dollar dem Dax ein Minus von zehn Prozent. Angesicht der Tatsache, daß der Energieträger sich in den letzten fünf Wochen ebenfalls um zwölf Dollar verteuert hat, mutet die bisherige Reaktion der Aktienmärkte sehr moderat an. «Die Börse hat sich schon daran gewöhnt, daß der Ölpreis immer neue Marken knackt, außerdem rechnet die Mehrheit der Marktteilnehmer ohnehin damit, daß Brent weiter nach oben tendiert», sagt Kai Stefani, Analyst beim Dit. Eine echte Aktien-Baisse sei aber nicht zu befürchten, da Dividendenpapiere dank der günstigen Bewertung nach unten abgesichert erscheinen. Für Sandra Ebner, Rohstoff-Expertin bei der Deka Bank, gibt es noch ein anderes Argument dafür, daß der teure Energieträger die Aktienhausse zwar bremsen, nicht aber in einen Bärenmarkt umkehren kann: «Gemessen an der Kaufkraft liegen die heutigen Ölnotierungen immer noch deutlich unter denen vom Anfang der achtziger Jahre.» Real, also in heutiges Geld umgerechnet, habe der der Preis des fossilen Brennstoffs zwischen 1979 und 1982 zwischen 60 und 80 Dollar gelegen (Der Dax pendelte damals vom Ölpreis gedrückt in der engen Spanne von 470 bis 550 Punkten). Bis das Öl Firmen und Verbraucher genauso belaste wie seinerzeit, sei also noch viel Platz nach oben – «zumal die ökonomische Abhängigkeit vom Öl nur noch halb so hoch ist wie damals», wie Ebner zu bedenken gibt.
So weit die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht: Marktbeobachter sehen kaum Chancen, daß der Preis des Energieträgers für den Rest des Jahrzehnts noch einmal auf 25 bis 30 Dollar zurückfällt wie im Verlauf der achtziger Jahre, also der Zeit des Aktien-Bullenmarkts. «Die Futures zeigen an, daß der Ölpreis bis 2010 wohl kaum merklich unter 50 Dollar sinken dürfte», resümiert Ebner, «die nächsten Jahre werden eine Zeit teurer Energie sein.» Wegen des bei steigender Nachfrage knappen Angebots rechnen andere Experten sogar damit, daß der Ölpreis auch real bald neue Rekordstände erklimmen wird: Sowohl technische als auch fundamental basierte Projektionen lassen Notierungen von 100 bis 150 Dollar pro Faß nicht unmöglich erscheinen.
Es scheint also nur eine Frage der Zeit zu sein, bis die hohen Rohstoffkosten massiv auf die Gewinne der Unternehmen und die Kauflaune der Verbraucher durchschlagen. Stefani sieht dann vor allem Konsumwerte unter Druck kommen: «Diese Firmen werden sowohl von der Kosten- als auch von der Einnahmenseite her Probleme bekommen.» Kreckel sieht neben Einzelhändlern vor allem Autobauer als Opfer der Ölpreishausse. Überraschenderweise könnten klassische Industrietitel wie hingegen relativ immun sein: «Hier beobachten wir, daß die Firmen die höheren Kosten gut an ihre Kunden weitergeben können.» Das schütze sich vor allzu hohem Margendruck. Die großen Gewinner werden derweil natürlich die Ölkonzerne sein. Vielen von ihnen sind mit einem niedrigen zweistelligen KGV bewertet, Dividendenrenditen von vier Prozent sind keine Seltenheit. «Die Gewinnschätzungen basieren oft auf der kaum noch realistischen Annahme, daß der Ölpreis 2005 im Schnitt niedriger ist als 2004», so Kreckel. Der Stratege rechnet mit zahlreichen positiven Gewinnrevisionen und empfiehlt, den gesamten Sektor überzugewichten.
Artikel erschienen am Fr, 18. März 2005